Noise treibt sein Unwesen in der Nachrichtentechnik, in der Kybernetik, in den Sozialwissenschaften und in der Musiktheorie. Noise kann ein ungewolltes Geräusch, einen störenden Rest, ein Rauschen, einen Überschuss von Lärm oder gleich das Gegenteil von Information und ästhetischem Sinn bezeichnen. Seit den 1980ern hat sich an den Rändern der Popkultur ein experimentelles Genre entwickelt, das sich dieser verdrängten Seite des Hörbaren bedient, die Grenzen des musikalisch Möglichen radikal erweitert und unter der Bezeichnung Noise etabliert hat.
Dabei widersetzt sich das exzentrische Potential von Noise seiner Vereinnahmung in die offiziellen Informationskreisläufe. Das Verhältnis von Macht und Widerstand wird von Noise im Bereich des Hörbaren konkret problematisiert: Die Macht und ihr Umschlagen in Gewalt äußern sich in einer Lautstärke, die Gehorsam erzwingen will, zugleich sind Lärm und Störung unauflösbare Begleiterscheinungen von Protest, Unordnung und sozialem Aufruhr.
Jenseits dieser Sphären bleibt Noise eine sperrige und radikale Form des künstlerischen Experiments, deren ProtagonistInnen in internationaler Vernetzung nach neuen Verknüpfungspunkten, akustischen Identitäten und noch nie gehörten Klängen forschen. NOISEXISTANCE möchte diese Positionen zusammenbringen und ihnen in Konzerten, Vorträgen und Workshops ein Forum geben.
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TAG 1 – Freitag, 02. März 2018
HFBK Hamburg
► Ex-Kopf (DE, Live)
Helge Meyer (Elektronik) und Alsen Rau (Drums) sind beide in der Hamburger Noise- und Elektronikszene aktiv. Meyer als Solo-Musiker und Mitglied des Krachkisten Orchesters, Rau als Scheich in China und Teil des Duos Esmark. Als Ex-Kopf verbinden sie den rhythmischen Minimalismus von Krautrock mit brachialem Harsh Noise zu einer hypnotischen Mischung.
► Steve Goodman: Sonic Warfare (GB, Vortrag)
Steve Goodman ist einer der Pioniere der britischen Dubstep-Szene und Begründer des einflussreichen Hyperdub Labels. Er lehrt an der University of East London und veröffentlichte das wegweisende Buch „Sonic Warfare“, in dem er Formen akustischer Kriegsführung und auditiver Gewaltanwendung nachspürt. Als Mitglied des Künstlerkollektivs Audint beschäftigt er sich mit dem Unhörbaren und der geisterhaften Heimsuchung durch Schall.
► Helm (GB, Live)
Der Londoner Musiker Luke Younger baut Collagen aus elektronischen Klängen, bearbeiteter Metallpercussion und Field Recordings undefinierbarer Herkunft. Mit diesen Sounds schafft er Atmosphären aus Industrial, Noise, Drone und Ambient, die sich als Hörstücke bezeichnen lassen. Seine rauen und düsteren Tracks, die er auf Labels wie PAN oder Opal Tapes veröffentlicht, sind ein Beispiel dafür, wie Noisemusik aktuell die Clubkultur belebt.
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TAG 2 – Samstag, 03. März 2018
Kampnagel – Internationales Zentrum für schönere Künste
► Louise Vind Nielsen (DK, Workshop)
wird in dem Workshop „AAARGH! Noise & Silence/Noise & Movement“ mit den TeilnehmerInnen die Grenzen und Übergänge zwischen Stimme und Noise, Körper und Material, Resonanz und Stille erforschen. Nielsen arbeitet als Multimediakünstlerin in Dänemark und Hamburg, wo sie u.a. die Reihe „Radikal Unsichtbar“ im Gängeviertel kuratiert.
► Nina Power (GB, Vortrag)
Nina Power lehrt Philosophie an der University of Roehampton in London. Neben Subjektphilosophie, Marxismus, Feminismus und Queer Theory liegt ihr Forschungsschwerpunkt auch in der Musikphilosophie. 2009 veröffentlichte sie den Essay „Women Machines: The Future of Female Noise“, zudem ist sie Mitbegründerin der Initiative Defend the Right to Protest.
► Best Friend Machine (DE, Live)
kommt aus dem Hamburger Noise-Underground. Er spielt Harsh Noise Wall, ein Genre, dass sich als der logische Endpunkt der Musikgeschichte bezeichnen lässt: Verzerrtes Rauschen über das gesamte Frequenzspektrum, maximale Lautstärke und keine Bewegung. Ein Sound mit der Materialität einer Wand.
► Black To Comm (DE, Live)
Der Hamburger Musiker und Komponist Marc Richter veröffentlicht seit 2003 unter den Namen Black To Comm eigensinige Kompositionen, basierend auf Vinyl- und Schellack-Loops, Youtube-Samples, Feldaufnahmen, verschiedenen akustischen und elektronischen Instrumenten sowie obskuren Software-Applikationen wie Argeïphontes Lyre und Soundhack. In den mehrschichtigen, collagenartigen Stücken mit oft langwierigen und verschachtelten Dramaturgien kommt die warme Patina „altmodischer“ analoger Aufnahmen mit den Möglichkeiten futuristischer Technologie zur Klangmanipulation zusammen.
► Erotic Nights (DE, Live)
sind drei Frauen, deren Musik die Abkehr von Pop ist, der seine Innovationskraft verloren hat und nur noch aus der Verwertung der eigenen Geschichte besteht. Mit ihren Werkzeugen schaffen sie eine Klangästhetik weit weg von konkret verortbaren Hörerlebnissen, um so ins Zentrum einer intensiven Desorientierung zu gelangen.
► Peter Brötzmann (DE)
Peter Brötzmann ist eine Legende des Free Jazz und war einer der ersten Protagonisten dieses Genres in der BRD der späten 60er. Seitdem hat er in unzähligen Kollaborationen die Grenzen des Saxophonspiels ausgelotet und ist dabei auch immer wieder in Bereiche des Noise vorgestoßen.
► Schwall Deejay (DE, DJ-Set)
mischt Industrial, Noise, Post-Punk und experimentelle Elektronik zu einer musikalischen Grenzerfahrung. Mit seinen Projekten wie Sleazy Pictures Of Teapee tritt er auch selbst als Musiker in Erscheinung.
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TAG 3 – Sonntag, 04. März 2018
Kampnagel – Internationales Zentrum für schönere Künste
► Dirty Electronics & Max Wainwright (GB, Workshop)
In dem Workshop „In House Press Vol. II“ können Protestnoten und politische Manifeste zugleich auf Endlospapier ausgedruckt und auf einen Chip codiert werden, den die TeilnehmerInnen in einen selbstgefertigten ‚Protest-Synthesizer‘ einbauen können. Dirty Electronics haben Noise-Synthesizer eigens für das Sonar-Festival 2013 und für Mute-Records entwickelt.
► In House Press Vol. II (Präsentation)
► Rene Huthwelker (DE, Live)
ist Mitglied des polymedialen Künstlerkollektivs Niedervolthoudini aus Hamburg. Er hat in diversen Formationen wie Isogram, Katzenkönig und ModLab in Genres von Ambient über Krautrock bis zu generativer Musik gespielt. In seinen Soloperformances mit Modularsynthesizern erzeugt er aus Rückkopplungen pulsierende Strukturen, in denen alle Einzelelemente miteinander interagieren.
► Calhau! (PRT, Live)
Die mit Stimme kombinierte Elektronik des Avantgarde-Duos erschafft ein absurdes Universum aus Albträumen, Mystik und surrealistischer Spiritualität. Der Horror und die Verwerfungen in ihrer Musik lassen sich wie ein böser Kommentar zu einem krisengeschüttelten, brutalisierten Europa hören. Calhau! sind ihre eigene Insel – die sich an der Stelle erhebt, an der das alte Europa im Meer versinkt. Ob es eine Toteninsel oder ein Zufluchtsort ist, bleibt zu ergründen.
► Club Moral (BE, Live)
Seit 1981 arbeiten Anne-Mie Kerckhoven und Danny Devos aus Antwerpen unter diesem Namen an dem eigenwilligen Entwurf einer Schnittstelle von bildender Kunst und performativem Noise. Sie haben mit Schlüsselfiguren der europäischen Industrial und Power Electronics-Szene gespielt. In ihren Konzerten beschwören sie eine ritualistische Atmosphäre herauf, in der historische Ereignisse des jeweiligen Auftrittsdatums verarbeitet werden.
► Nina (DE, DJ-Set)
ist als DJ bekannt für ihre eklektische Mischung von experimenteller elektronischer Musik und düsteren Club-Sounds. Im Golden Pudel Club veranstaltet sie ihre Reihe „Nina trifft“ und ist Mitbetreiberin des renommierten Hamburger Underground-Labels VIS.
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■ REM – rapid ear movement
■ PGNM – projektgruppe Neue Musik
■ Galerie K‘
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■ Difficult Music For Difficult People
Gestaltung
■ Cabinet Gold van d’Vlies